Kritik am Missionierungsgedanken in 'Nathan der Weise'

Das berühmte Werk ‘Nathan der Weise’ ist einer der wichtigsten Texte der Aufklärung. Bekannt für Toleranz verschiedener Religionen, legt uns dieser Text auch nahe, nicht zu missionieren.

Wir, die Klasse M25c, hat im Rahmen des Deutschunterrichts ‘Nathan der Weise’ gelesen, geschrieben von Gotthold Ephraim Lessing im Jahre 1779. Zum Abschluss des Themenblocks ‘Nathan der Weise’ haben zwei Lernende ihre Ideen für den Blog-Eintrag im Rahmen einer Kurzpräsentation vorgestellt. Ein Kollege will thematisieren, wie Religion zum Vorteil aller mit dem Menschen im Zentrum ausgelebt werden soll. Als Beispiel nannte er die ‘Heilsarmee’, die karikative Vorsorge für Menschen jedes Glaubens anbietet, jedoch dafür bekannt ist zu missionieren. Meiner Ansicht nach widerspricht der Missionierungsgedanke der Botschaft des Werks ‘Nathan der Weise’ und nach einem kurzen Bericht über die im Unterricht behandelten Themen will ich aufzeigen wieso.

Der rote Faden während den Besprechungen des Textes waren die Fragen, was einen aufgeklärten Menschen ausmacht, welche Rolle die Wahrheit in diesem Text spielt und warum dieses Werk auch heute noch relevant ist. Als zusätzliche Informationsquelle haben wir Inputs zu Lessings Leben erhalten und von ihm verfasste Texte über die Wahrheit und Religion gelesen.

Fragmentenstreit

Zum Zeitpunkt, als Lessig ‘Nathan der Weise’ schrieb, war er mit dem einflussreichen Pastor Johann Goeze den sogenannten Fragmentenstreit verwickelt: Nachdem Lessing bibelkritische Texte vom verstorbenen Philosophen Herrmann Reimarus veröffentlichte, meldete sich der Pastor zu Wort und verteidigte die Bibel vehement als «im Wortlaut geoffenbartes Wort Gottes» (vgl. Modell für ein gelingendes menschliches Zusammenleben, Peter Naef, n.d.). Diese Reaktion wollte Lessing provozieren und verteidigte seinerseits nun die Textfragmente von Reimarus. Die Bibel könne nicht wortwörtlich verstanden werden, da zu vieles in der Bibel den Erfahrungen aus der realen Welt nicht passiert sein kann. Der Streit eskalierte schliesslich und Lessing wurde verboten, sich weiter zu dieser Thematik zu äussern.

In Schriften aus dem Jahre 1762/63 schreibt Lessing sinngemäss, dass alle Religionen von einer Urreligion abstammen und im Rahmen der Zivilisierung und als Folge verschiedener Kulturen zu verschieden ausgelebten Formen dieser Urreligion wurden. Nach Lessing ist die beste Religion die, die am nächsten an der Urreligion ist, am wenigsten «konventionelle Zusätze» enthält und die gute Wirkung der Urreligion am besten aufrechterhält. Zwar unterscheidet Lessing zwischen besseren und schlechteren Religionen, allerdings sind für ihn alle Religionen gleich falsch und gleich richtig.

Im Werk ‘Nathan der Weise’ ist auch eine literarische Antwort von Lessing auf den ‘Fragmentenstreit’. Die Hauptfigur Nathan ist ein Mann, der als Jude eine Christin in keiner spezifischen Religion aufzieht und die Idee propagiert, Personen als Menschen und nicht als Angehörige einer Religion zu betrachten. Und das alles im Schmelztiegel der Religionen in Jerusalem während der Zeit der Kreuzzüge.

Wieso soll nun die Botschaft dieses Werks dem Missionierungsgedanken widersprechen?

Zunächst fällt einem auf, dass Nathan seine Adoptivtochter Recha nicht nach jüdischem Glauben aufzieht, obwohl Nathan selbst gläubiger Jude ist. Wie die Lesenden erst später erfahren, weiss Nathan, dass Recha Christin ist. Anstelle Recha nun als Jüdin aufwachsen zu lassen – und sie gewissermassen von Christentum zum Judentum konvertieren lassen – lehrt Nathan sie die Grundsätze der Urreligion nach Lessing. Dadurch könnte sie sich im späteren Alter aus freien Stücken für eine Religion entscheiden.

Auch die berühmte Ringparabel in Nathan der Weise unterstützt den Gedanken, dass der Missionierungsgedanke in diesem Werk abgelehnt wird: Der Richter fragt die drei Söhne, wen zwei von ihnen am meisten lieben (Lessing, 1779: Zeilen 500-510). Als nun keiner der Söhne etwas sagt, meint der Richter, alle drei seien Lügner und hätten den falschen Ring, denn dieser Ring müsste ja auch nach aussen wirken. Wenn man nun von der Bildebene mit den Ringen auf die Sachebene wechselt, dann heisst das für die Religionen des Buches, dass wenn jede sich selbst am liebsten habe, dann sei sie wohl nicht die wahre. Eine Religion, die von sich denkt, die beste zu sein, ist also per se nicht wahr. Der Missionierungsgedanke setzt dieses Bild der Überlegenheit der eigenen Religion aber voraus.

Im vierten Aufzug fordert der Patriarch, dass Nathan auf dem Scheiterhaufen verbrannt werden sollte, weil er als Jude die Christin Recha aufgenommen hat. Weiter meint der Patriarch, dass sterben besser wäre als im jüdischen Glauben aufgezogen zu werden. Dieses Bild des Patriarchen, dass eine Religion anderen überlegen ist, wird in Nathan deutlich kritisiert und widerspricht der Weltanschauung Lessings. Wie oben schon erwähnt, ist dieses Gefühl der Überlegenheit in den Missionierungsgedanken eingewoben.

Die Weltanschauung Lessings, dass alle Religionen gleich wahr und falsch sind, wird in obigen Beispielen in den Text ‘Nathan der Weise’ eingebaut. Vor allem das Bild einer überlegenen, wahren Religion kritisiert Lessing scharf. Da der Missionierungsgedanke aber auf diesem Bild basiert, widerspricht dieser Text meines Erachtens dem Missionierungsgedanken.

Dank des oben beschriebenen Vortrags eines Klassenkameraden hatte ich für einmal keine Mühe damit, ein geeignetes Thema für den Blog zu finden. Insgesamt lief der Schreibprozesses dieses Blog gut ab. Erschwert wurde der Schreibprozess allerdings dadurch, dass ich den Blog erst Wochen, nachdem ich das Buch gelesen hatte, schrieb. Zudem waren meine Notizen nicht so hilfreich wie sonst und ich musste einiges nochmals nachlesen (z.B. Geschichte um den Fragmentenstreit). Der Grund dafür ist mir momentan unklar, da ich eigentlich nicht das Gefühl hatte, die Unterrichtsdokumentation gegenüber anderen Textbesprechungen anders oder in anderem Umfang durchgeführt zu haben. Als Hilfsmittel verwendet habe ich meine Notizen aus dem Unterricht und zusätzliche Texte von/über Lessing, die wir im Unterricht erhalten haben.

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